Deutsche Ameisenschutzwarte
Arbeitskreis Not- und Rettungsumsiedelungen
von Ameisenvölkern
Klaus-Berndt
Nickel, Hainbuchenstr.6, 34270 Schauenburg
Tel.: 05 601 - 1379; Fax.:05 601 – 4559 E-Mail: klausbnickel@t-online.de
Arbeitsgrundsätze zur Rettungsumsiedlung von Waldameisenvölkern
Im
Zuge des Landschaftsverbrauchs durch den Menschen ist die Aus- und Umsiedlung
von Wald-ameisenvölkern oftmals die einzige Möglichkeit, sie vor
Vernichtung zu bewahren und zu erhalten. Soll in solchen Fällen das Ziel
erreicht werden, einem Ameisenvolk das Überleben zu ermöglichen, muß das
Vorgehen gründlich geplant, sachkundig vorgenommen und von Respekt vor diesen
Lebewesen getragen sein.
Bei
Baumaßnahmen auf Waldflächen ist grundsätzlich immer davon auszugehen, daß
Lebensraum von Waldameisen betroffen ist und diesen u.U. Gefahr oder gar
Vernichtung drohen; Gewißheit kann
hier immer nur eine rechtzeitige fachkundige Kontrolle der fraglichen
Flächen bzw. die Einsichtnahme in ggf. bestehende Nestkartierungen erbringen.
Eine Flächenkontrolle muß kategorisch immer Bestandteil von Bauplanungen bzw. -
Genehmigungsverfahren sein, anders kann bei solchen Maßnahmen den
Verpflichtungen aus Naturschutzgesetz und Artenschutzbestimmungen u.a. auch
gegenüber Waldameisen gar nicht nachgekommen werden.
1. Generelle Grundsätze
Jede angebliche Konfliktsituation Mensch/Ameisen muß vor Ort fachkundig überprüft werden. Aufklärung der sich von Ameisen gestört fühlenden Menschen kann oft die weitere Duldung der Ameisen - Nachbarschaft bewirken (Vermeidung der Umsiedlung). Nach Möglichkeit sollten die Ameisen immer an dem von ihnen besetzten Platz verbleiben.
2. Gründe für
Umsiedlungen
Der triftigste Grund für die Umsiedlung eines Ameisenvolkes ist dessen ernsthafte Existenz-gefahr an seinem bisherigen Standort. Vernichtung von ganzen Ameisenvölkern droht meist im Zusammenhang mit
2.1 Wege -, Straßen- und Gleisbau,
2.2 Errichtung von Stauseen und Wasserstraßen,
2.3 Umwandlung von Wald- in Ackerflächen,
2.4 großflächigem Windwurf oder Kahlschlag im Wald (Entzug der Nahrungsgrundlage),
2.5 Bauflächenausweisungen jeder Art,
2.6 Ameisensiedlungen in Wohnbereichen bzw. auf sonstigen Nutzflächen des Menschen.
3. Rechtliche
Grundlagen
3.1 Bundesnaturschutzgesetz § 10 Abs. 2 Nr.10 u. 11, § 42, § 43, § 62
3.2 Bundesartenschutzverordnung
3.3 Naturschutzgesetze der Länder
Mit diesen gesetzlichen Bestimmungen ist
n festgelegt, daß Waldameisen zu den "besonders / streng geschützten Tierarten" gehören;
n verboten, Waldameisen (u. deren Puppen, Larven, Eier) zu fangen, zu töten sowie
n deren Nester zu beschädigen oder zu zerstören,
n geregelt, daß die zuständige Naturschutzbehörde (in Bayern "Höhere Naturschutz-behörde" /Bezirksregierung) erforderlichenfalls, z.B. für Rettungsumsiedlungen von Waldameisenvölkern auf entsprechenden Antrag Ausnahmen von den o.a. Verboten genehmigen kann.
Methodische
Bindungen aufgrund von Biologie und Verhalten der Waldameisen
4.1 Bei der Umsiedlung eines Waldameisenvolkes muß die Königin (monogyne Art) bzw.
müssen die Königinnen (polygyne Art) unversehrt mit erfaßt werden; ohne Königin stirbt
das Ameisenvolk unweigerlich ab.
In jedem Jahr sind die Königinnen nur um die Zeit der Sonnung innerhalb bzw. sogar auf
dem Nesthügel; die Sonnungszeit fällt in die ersten sonnigen, wärmeren Frühjahrswochen
(wetterlageabhängig im Februar/März/April).
4.2 Umsiedlungen sollten grundsätzlich so geplant werden, daß sie im Zeitraum der Sonnung
durchgeführt werden können, weil sich in dieser Phase die meisten Ameisen nicht im
Erdboden sondern im bzw. auf dem Nesthügel und allenfalls in einer flachen Boden-
schicht darunter aufhalten, insbesondere ist dieser Sachverhalt in Bezug auf die König-
innen von besonderer Bedeutung, die im lockeren Material des Nesthügels mit größerer
Sicherheit unversehrt mit erfaßt werden können - außerhalb des Zeitraumes um die
Sonnungsphase befinden sich diese im Erdboden und werden beim Ausgraben oft verletzt
oder unbeabsichtigt getötet; letzteres bewirkt bei einem monogynen Volk - umgesiedelt
oder nicht - das sichere Absterben.
4.3 Bei Umsiedlungen, die während der Sonnungsperiode durchgeführt werden, braucht
i.d.R. nur der Nesthügel, erforderlichenfalls ein teil der flachen Bodenschicht mitsamt
den Bewohnern umgesetzt zu werden; der in tieferen Bodenschichten befindliche
umfangreiche Nestteil braucht dann i.d.R. nicht ausgegraben zu werden.
4.4 Als Rettungsumsiedlungen werden Umsetzungen bezeichnet, die vorausschauend geplant
und demzufolge um die Zeit der Sonnung durchgeführt werden können - diese Vorgehens-
weise muß die Regel sein.
4.5 Notumsiedlungen sind Umsetzungen, die aufgrund plötzlich auftretender Zwänge und
ohne Möglichkeit der sachgemäßen langfristigen Vorplanung vorgenommen werden
müssen; sie liegen zeitlich meist außerhalb der Sonnungsphase und müssen deshalb die
Ausnahme sein.
4.6 Ab August bis Februar sind Umsiedlungen grundsätzlich zu vermeiden; für den restlichen
Teil der Aktivitätszeit (August bis etwa Ende Oktober) bleibt den Ameisen sonst zu wenig
Zeit, das Nest neu anzulegen und sich die für das Überleben des Winters und zeitigen
Frühjahrs nötigen körpereigenen Fettreserven anzufressen. In der Ruhephase (etwa
November - Februar) verbietet sich eine Umsiedlung von selbst.
5. Vorbereitende
Maßnahmen
5.1 Überprüfung der ökolog. Verhältnisse am Altstandort des Waldameisenvolkes.
5.2 Artbestimmung vornehmen (lassen).
5.3 Ausnahmegenehmigung der Naturschutzbehörde und Einverständnis des Grundeigen-
tümers einholen.
5.4 Neustandort festlegen, dabei darauf achten, daß dieser
- mindestens 200 m vom Altstandort entfernt ist,
- dem Altstandort möglichst gleicht ,
- nach Möglichkeit so liegt, daß er von einem Heger über längere Zeit nach betreut
werden kann.
- weitgehend frei ist von anderen seltenen/geschützten Insektenarten.
- über ausreichend Nahrungsgrundlagen (Lachniden-/Lecanienbesatz) verfügt.
Erforderlichenfalls im Herbst vor der Umsiedlung Lachniden - Eigelege ansetzen.
5.5 Den Umsiedlungszeitpunkt vorplanen und den Neustandort für die Ansiedlung
vorbereiten.
6. Praktische
Durchführung
6.1 Umsiedlung i.d.R. während der Sonnungsphase und in den frühen Morgenstunden
bei möglichst frostfreier, trockener, warmer, Wetterlage.
6.2 Bei den Arbeiten am Nest auf Königinnen achten, diese ggf. in gesondertem
Behälter verwahren und transportieren.
6.3 Mit Ameisen gefüllte Transportbehälter gut belüften - mit Kunststoffgaze verschließen
und vor Sonneneinstrahlung schützen.
6.4 Zeitraum zwischen Entnahme am Altstandort und Aussetzen am Neustandort so
kurz wie möglich halten.
6.5 Am Neustandort Startfütterung (Zucker, Bienenfutterteig, etc.).
6.6 Den Neustandort bei Bedarf mit Nestschutzhaube versehen
6.7 Neustandort kartieren.
7. Notwendige Nachsorge/Anschlußhege
7.1 In den Tagen nach der Umsiedlung den Altstandort kontrollieren und ggf. ver-
bliebene Reste des Volkes nachholen.
7.2 Regelmäßige, anfangs mind. wöchentliche Kontrolle des umgesiedelten Volkes
hinsichtlich
- Nahrungssituation,
- Annahme des Neustandortes,
- Unversehrtheit des Nestschutzes,
- im Mai/Juni Vorhandensein von Brut kontrollieren (Austragen von Puppenhüllen
zeigt das Vorhandensein von Königinnen an),
- Nestschutz regelmäßig kontrollieren, warten, instand halten.
7.3 Nestschutzauben entfernen, sobald diese nicht mehr benötigt werden.
7.4 Entwicklung des Volkes am Neustandort in der Folgezeit überwachen und jährlich
im September dokumentieren/aufschreiben (Durchm. Erdauswurf; Belebungsgrad der
Nestoberfläche; Stärke des Baumbelaufes).
8. Weitere fachliche Grundregeln
8.1 Umsiedelungsarbeit ist Handarbeit; Handwerkszeuge können dabei sein
Schottergabel, Schaufel, Spaten, Säge, Beil, etc. und natürlich Transport-
behälter wie saubere Papiersäcke oder Tonnen mit luftdurchlässigem Verschluß.
8.2 Der Einsatz von Großmaschinen (Schaufelbagger, Ballenumsetzer usw.), wie
verschiedentlich schon beobachtet, ist bei dieser Arbeit grundsätzlich abzulehnen, weil
dabei alle Hohlräume des Nestes und auch deren Bewohner (auch Königinnen!) in der
Regel zerdrückt werden. Ausnahmsweise ist Baggereinsatz in besonders schwierigen
Situationen denkbar, z.B. Nest unter sehr großem Wurzelstock - dann aber nicht mit
Baggerschaufel einsetzen sondern mit Hubgabel zum Heben des Stockes.
8.3 Arbeiten am Nest, also insbesondere auch Umsiedlungen
- möglichst immer in den frühesten Morgenstunden vornehmen; die Ameisen sind
dann noch klamm und langsam, und zu dieser Tageszeit sind die meisten noch im Nest.
- immer mit Rücksicht auf die Großwetterlage planen und durchführen; zur
anschließenden Neuorganisation bzw. zum Neuaufbau des Nesthügels brauchen
die Ameisen mindestens 2 - 3 Tage wärmeres, möglichst trockenes Wetter.
Erstellt: Nabburg, den 20.09.1996
Stand: Rotenburg an der Fulda, den 19.09.1997
Nabburg, den 01.04.2007